Zwischen Managua im Süden und León im Norden liegt La Paz Centro im pazifi schen Tiefl and mit subtropischem Klima. Die kleine Stadt kommt mit ihren 20 Landgemeinden auf ca. 35.000 Einwohner und ist fl ächenmäßig die größte Kommune in der Region León (Regionalhauptstadt). Die Menschen leben vom Ackerbau, der Viehzucht und/ oder arbeiten als Landarbeiter und Tagelöhner auf den zahlreichen großen Latifundien und Monokulturen. Es gibt in allen Gemeinden Grundschulen und insgesamt vier Sekundarschulen, die bis zum Abitur führen. Die Schulen sind insgesamt schlecht ausgestattet (bis zu 60 Kinder in einem Klassenraum), die Lehrer werden schlecht bezahlt und wer es sich leisten kann, meldet sein Kind in einer der privaten Schulen in der Regionalhauptstadt León an. Es gibt gute Busverbindungen von Stadt zu Stadt. In den Dörfern verkehrt der Bus nur einmal täglich.
Weiterer – umweltschädigender – Produktionsbereich sind die 140 Ziegeleien, die durch ihren enormen Holzverbrauch zur weiteren Versteppung der Landschaft beitragen. Es wird wenig wiederaufgeforstet. Im Stadtgebiet machen sich mittlerweile 200 Mototaxis gegenseitig Konkurrenz. Verstopfte Straßen und schlechte Luft sind die Folgen.
Im Stadtgebiet von La Paz Centro gibt es eine staatliche Poliklinik (hospitalito), die für die Bevölkerung kostenlos ist. Medikamente müssen privat in einer der vielen Apotheken gekauft werden. Die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung – besonders in den Landgemeinden – ist völlig unzureichend. Vorsorgeuntersuchungen gibt es nicht bzw. müssen diese privat organisiert und bezahlt werden. Die häufi gsten Erkrankungen sind: Niereninsuffi zienz, Hepatitis, Asthma, Krebs und Infarkte. Wegen einseitiger ungesunder Ernährung und fehlender Sportmöglichkeiten ist ein Drittel der Bevölkerung chronisch übergewichtig. Familien, die Angehörige in den USA haben (Arbeitsmigration) können mit deren monatlichen Zuschüssen (remesas) die größte Not lindern. Wenn Donald Trump seine »Versprechungen« wahr macht, wird diese Hilfe wegfallen. Über die IGS-Geismar und andere Privatpersonen konnten wir in den letzten 20 Jahren für ca. 1.500 Schulabsolventen kleine Stipendien bezahlen. Im Rahmen des staatlichen »weltwärts«-Programms haben seit 2008 insgesamt 45 deutsche Freiwillige in der Partnergemeinde einen einjährigen Freiwilligendienst absolviert. Auf Vorschlag der deutschen Botschaft in Managua haben wir 2001 das Bundesverdienstkreuz am Bande und 2017 den niedersächsischen Ehrenamtspreis für nachhaltige Entwicklung erhalten. Seither hat es außerdem zahlreiche Besuche und Gegenbesuche gegeben. La Paz Centro braucht auch weiterhin unsere solidarische Unterstützung. Es existiert keine wirkungsvolle Umweltbildung in den Schulen. Hier sollte die Klimapartnerschaft wirken. Wir hoffen, dass sich diese wiederbeleben und unter der neuen Bürgermeisterin mit Inhalt füllen lässt.
Biosprit, Zuckerrohr und die Folgen Bereits 2009 gab es Hinweise, dass sich die Todesfälle aufgrund chronischer Niereninsuffi zienz in Gebieten mit Zuckerrohrplantagen häuften. Betroffen waren vor allem Plantagenarbeiter_innen sowie Anwohner_ innen der Plantagen, aber auch Nachbargemeinden in der Region Chinandega, Chichigalpa und El Viejo im Nordwesten Nicaraguas. Die Erkrankungen sind offensichtlich auf den massiven Pestizideinsatz in den Zuckerrohr-Monokulturen zurückzuführen. Gleichzeitig wurden in den letzten 10 Jahren diese Monokulturen extrem ausgeweitet: Als Folge der »E10-Bio-Spritverordnung« stiegen die Exportmengen nach Europa. Jetzt, fast zehn Jahre später, hat sich das Bild weiter verdichtet. Die hemmungslose Jagd nach Acker- und Weideland wird durch Agrosprit weiter angefeuert. In der Gemeinde Chichigalpa sind tausende Tote zu beklagen (Spiegel 26.11.2016) und es wird noch immer von einer »mysteriösen« Krankheit gesprochen. Dem widerspricht die Studie eines Forschungsteams aus El Salvador unter der Leitung des Nierenspezialisten Dr. Carlos Orantes (2014), über die wir während unserer Veranstaltung am 13.2. informieren möchten. Medico international, das Heidelberger NicaForum und das Informationsbüro Wuppertal haben ausführliches Material zu diesen Themen publiziert und waren in den genannten Regionen erfolgreich tätig. Unsere Partnergemeinde La Paz Centro liegt nur eine Autostunde von diesen Gebieten entfernt. Auch hier hat seit ca. 10 Jahren der Ausbau großer Bananen-, Zuckerrohr-, Sorgo- und Erdnussplantagen zugenommen. Auch hier verkaufen viele Kleinbauern ihr Land, da sie es wegen Ausbleiben der Regenzeiten nicht mehr bearbeiten können. Für unsere Modell-Finca San Roque wurde uns bereits der doppelte Kaufpreis geboten. Wir haben hier eine Zuckerrohrplantage in unmittelbarer Nachbarschaft. Und überall wird gespritzt (zum Teil auch noch von oben mit Kleinfl ugzeugen wie in den Zeiten der Baumwollplantagen). Die meisten Plantagen gehören der Familie Pellas aus Managua (Milliardär im zweitärmsten Land Lateinamerikas).
In La Paz Centro haben wir erst im letzten Jahr anlässlich eines Arbeitsaufenthaltes inoffiziell von Betroffenen erfahren, dass diese Krankheit auch in unserer Partnerstadt grassiert. Zwischen beiden Kommunen existiert seit 1988 eine Solidaritätsvereinbarung. Hinzu kommt, dass beide Städte seit 2016 eine offi zielle Partnerschaft im Rahmen des staatlichen Programms »50 kommunale Klimapartnerschaften mit Lateinamerika« eingegangen sind.
Bei keinem der offi ziellen Besuche wurde das Thema Nierenerkrankungen angesprochen. Die Klimapartnerschaft liegt wegen der Passivität der Bürgermeisterin von La Paz Centro »auf Eis«. Bemühungen der Stadt Göttingen blieben erfolglos. Grund: La Paz Centro lehnte die Bedingung einer zivilgesellschaftlichen Beteiligung vehement ab. Die ehemalige Bürgermeisterin wurde nun abgewählt und am 15.1.2018 hat die neue Bürgermeisterin, Isabel Donaire, das Amt übernommen.
Anlässlich meines Arbeitsaufenthaltes im November/Dezember wurden wir in La Paz Centro plötzlich unerwartet mit der traurigen Realität konfrontiert, dass diese Gemeinde mittlerweile den zweiten Platz (nach Chichigalpa) in der Statistik der Krankheit mit Todesfolge »chronische Niereninsuffizienz« belegt (Dr. Noel Jiménez, Leiter des staatlichen Gesundheitszentrums LPC). Keinerlei Auskunft gab er darüber, welche Ursachen, Folgen und Hilfsmöglichkeiten es dabei gibt. In Nicaragua wird das Thema totgeschwiegen. Die Menschen, hauptsächlich Landarbeiter, sind unaufgeklärt, unorganisiert, arm und bildungsfern.
Ich war entsetzt, als innerhalb von vier Tagen nach diesem ersten Gespräch bereits 72 Patienten ins Projekt »Casa de la Mujer« kamen und uns dringend um Hilfe baten. »Diese Gesichter und die zerstochenen Arme und Hälse werde ich so schnell nicht vergessen«. Die erste und dringendste Bitte der Kranken war, dass sie Unterstützung bekommen, um die für sie fast unerschwinglichen hohen monatlichen Versicherungs- und Transportkosten aufzubringen. Sie müssen dreimal wöchentlich in die Dialyse nach Managua, was außer der vierstündigen Blutwäsche auch noch die gleiche Zeit an mühsamer Fahrt mit diversen Bussen bedeutet. Die Betroffenheit bei allen – auch unseren Projektpartnern – war groß. Der erste Gedanke war, dass ein Kleinbus hier die erste Not lindern müsste. Freunde aus Göttingen haben schnell die ersten 5.000,– gespendet, so dass wenigstens die Transportkosten für die nächsten Monate gesichert waren. In Göttingen mobilisierte Gerd Nier, Vorsitzender der Ratsfraktion Göttinger Linke, die Presse und dank seiner Hilfe hoffen wir, dass ein interfraktioneller Ratsantrag Erfolg hat und wir mit einem Zuschuss von 35.000,– 1 in Nicaragua einen Kleinbus der Marke Toyota Hiace anschaffen können. Ein Chauffeur mit entsprechender Fahrerlaubnis zur Personenbeförderung ist bereits gefunden.
Die Kosten für Diesel und den Unterhalt (Wartung) des Fahrzeuges können wir als Verein gemeinsam mit der Selbsthilfegruppe der Betroffenen leisten. »La Paz Centro ist nicht Göttingen« werden viele sagen. Der frühere Göttinger Bürgermeister Arthur Levi hatte 1988 zugesagt, dass nach einem Jahr Basisarbeit durch uns die Städtepartnerschaft auch offi ziell werden sollte (so wie in vielen anderen deutschen Kommunen). Dazu ist es leider nie gekommen und wir arbeiten nun seit 31 Jahren in der Partnerstadt und wurden am 5.1.2017 in Nicaragua von der deutschen Botschafterin Ute König anlässlich des 30-jährigen Geburtstages unseres Vereins in La Paz Centro dafür ausdrücklich gelobt. Stefan Wenzel, ehemaliger niedersächsischer Umweltminister, hat uns außerdem den nds. Ehrenamtspreis für nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit verliehen. Die niedersächsische Bingo-Umweltstiftung hat viele unserer Projekte mitfi nanziert. Von der Stadt Göttingen erhalten wir jährlich 2.500,–. Wir hoffen, dass mit Unterstützung der Bevölkerung ein interfraktioneller Antrag im Rat Erfolg hat und die Stadt Göttingen sich ebenfalls an diesem Projekt beteiligt und Steuergelder nicht nur für die europäischen Städtepartnerschaften bereit gestellt wird. In La Paz Centro hoffen die Menschen – auch die, die Göttingen bereits kennengelernt haben –auf Unterstützung. Der Kleinbus kann zwar momentan die größte Not lindern, es müssen aber auch Maßnahmen ergriffen werden, die möglichst weitere Erkrankungen verhindern. Schulungen, Selbsthilfekonzepte, bessere Ernährung, Öffentlichkeitsarbeit u.v.m. Dabei helfen uns medico international, befreundete Nica-Vereine anderer Städte und hoffentlich Spenden der Göttinger Bevölkerung.
Anna Leineweber